Praxistipps für eine erfolgreiche Elektrifizierung der Fahrzeugflotte
- Stephan Walter
- 2. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Dank der Modelloffensive der Fahrzeughersteller ist heute bereits der Grossteil aller Fahrzeuge in Unternehmens- und Verwaltungsflotten durch reine Elektrofahrzeuge ersetzbar. Dies zeigen verschiedene aktuelle Umsetzungsbeispiele in der Schweiz. Basierend auf unseren Erfahrungen aus bereits realisierten Projekten haben wir in diesem Blog-Beitrag verschiedene Praxistipps für eine erfolgreiche Elektrifizierung der Fahrzeugflotte zusammengestellt.
AstraZeneca hat gesamte Fahrzeugflotte in der Schweiz auf E-Autos umgestellt
Das Unternehmen AstraZeneca hat im Februar 2025 mitgeteilt, dass der Übergang zu einer vollständig elektrischen Fahrzeugflotte in der Schweiz abgeschlossen sei (siehe Medienmitteilung). Damit ist der gesamte Aussendienst des biopharmazeutischen Unternehmens elektrisch unterwegs und die Mitarbeitenden wurden auch bei der Installation der Ladestationen zu Hause unterstützt. Dies bedingte unter anderem die Überarbeitung von firmeninternen Richtlinien.
Auch die SBB elektrifizieren ihre Strassenfahrzeuge – eine der grössten Flotten der Schweiz. Bis 2030 soll jedes zweite Fahrzeug elektrisch fahren, bis im Jahr 2040 dann die gesamte Flotte. Die Strassenfahrzeugflotte der SBB umfasst rund 2’600 Transporter und Personenwagen, welche z.B. Baupersonal und Material auf die Baustellen bringen. Besonders herausfordernd sei die saubere Abstimmung zwischen Elektrofahrzeugersatz und Ladestationsbau, schreiben die SBB (siehe Website).
Kanton Bern will die Flotte bis 2035 auf E-Antrieb umstellen
Bei den öffentlichen Verwaltungen ist bzgl. Elektrifizierung der Fahrzeugflotten ebenfalls einiges in Bewegung. So will beispielsweise der Kanton Bern seine Flotte von rund 1’300 Fahrzeugen bis ins Jahr 2035 möglichst vollständig auf Elektrofahrzeuge umstellen. Neben zahlreichen Personenwagen betrifft dies auch Lieferwagen, Lastwagen und Spezialfahrzeuge. So ist aktuell z.B. die Beschaffung von 100 Lieferwagen öffentlich ausgeschrieben. Es gilt der Grundsatz, dass neu beschaffte Fahrzeuge einen Elektroantrieb aufweisen sollten, wo die Nutzung dies zulässt. Mittlerweile wird im Kanton Bern auch zunehmend nach dem Prinzip gehandelt, dass es eine Begründung braucht, wenn noch ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor beschafft werden soll (siehe Zeitungsartikel).
Ähnliche Bestimmungen gibt es zum Beispiel auch im Kanton Obwalden. Alle neu anzuschaffenden Fahrzeuge des Kantons sollen keinen CO2-Ausstoss verursachen und erneuerbar betrieben werden. Ausnahmen bspw. für Spezialfahrzeuge sind möglich, müssen aber zwingend begründet werden (siehe Energie- und Klimakonzept 2035).
Auch der Bund hat für die zivile Bundesverwaltung ab dem Jahr 2021 ähnliche Regelungen für die Beschaffung von Verwaltungsfahrzeugen erlassen: Jedes Departement stellt sicher, dass bei einer Neuanschaffung grundsätzlich rein elektrisch betriebene Personenwagen bestellt werden. Die Anschaffung von nicht rein elektrisch betriebenen Personenwagen ist zu begründen und muss als Ausnahme genehmigt werden. Vergleichbare Bestimmungen gelten auch für Lieferwagen, Allradfahrzeuge sowie Fahrzeuge mit Einsatzcharakter (siehe Weisungen).

Flottenelektrifizierung: wichtige Erkenntnisse aus der Praxis
Nachfolgend möchten wir einige wichtige Erkenntnisse aus Projekten teilen, die wir fachlich begleiten durften. Dabei ging es um die Elektrifizierung grosser Flotten mit unterschiedlichen Fahrzeugtypen und mehreren Fahrzeugstandorten. Folgende wichtige Themenbereiche möchten wir etwas genauer beleuchten:
Bestandsanalyse
Elektrifizierung der Flotte
Diversifizierung und Verkleinerung der Flotte
Ladeinfrastruktur, sichere Stromversorgung und Eigenverbrauchsoptimierung
Bestandsanalyse: eine gute Übersicht verschaffen
Die Durchführung einer fundierten Analyse gleich zu Beginn des Projekts ist von grosser Bedeutung. Ziel einer solchen Bestandsanalyse ist es, sich eine gute Übersicht über die Zusammensetzung der bestehenden Flotte, aber auch über die häufig verschiedenen Fahrzeugstandorte zu verschaffen.
Bei der Flottenanalyse stehen folgende Fragen im Fokus: Aus welchen Fahrzeugen setzt sich die Flotte aktuell zusammen und wie werden diese genutzt? Zur Ermittlung der Flottenzusammensetzung gilt es wichtige Informationen, wie zum Beispiel Fahrzeugtyp, Antriebsart und Erst-Inverkehrsetzung zusammenzutragen. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass aktuelle und vollständige Fahrzeugdaten sehr wichtig sind, um mit dem Projekt effizient voranzukommen. Dies gilt umso mehr, als häufig unterschiedliche Abteilugen und Organisationseinheiten für die Fahrzeuge zuständig sind. Eine gute Übersicht über die aktuelle Nutzung der Flotte bringt zudem der Blick in die Fahrtenbücher. Diese geben auch Aufschluss über die Reichweitenanforderungen der einzelnen Fahrzeuge. Allenfalls kann es auch sinnvoll sein, ausgewählte Fahrzeuge mit GPS-Dongles ausstatten.
Bei der Standortanalyse stehen folgende Fragen im Fokus: Wo und wann können die Fahrzeuge in Zukunft geladen werden? Häufig sind die Fahrzeuge an verschiedenen Standorten stationiert, was für die Planung der benötigten Ladeinfrastruktur von Bedeutung ist. Auch allfällig geplante Umzüge in Neubauten oder andere Verschiebungen bei den Fahrzeugstandorten sollten bei der Planung der Ladeinfrastruktur frühzeitig berücksichtigt werden. Verschiedene Fahrzeuge werden von den Mitarbeitenden auch nach Hause genommen (z.B. von Aussendienstmitarbeitenden und Wildhütern). Beim Thema Heimladen gibt es verschiedene Lösungen, wie die Kosten und Verantwortlichkeiten zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitenden aufgeteilt werden können.
Elektrifizierung der Flotte: Etappiertes Vorgehen ist sinnvoll
Mittlerweile gibt es sowohl bei den Autos als auch bei den Lieferwagen und Personentransportern ein breites Angebot an Elektrofahrzeugen. Zudem führt die schnelle technologische Entwicklung bei den Reichweiten, Ladeleistungen und Anhängelasten fortlaufend zu weiteren Verbesserungen. Auch sind aktuell stark sinkende Preise beim Anschaffungspreis der Elektrofahrzeuge zu beobachten. Bei gewissen Fahrzeugmodellen wird bereits die Preisparität beim Anschaffungspreis erreicht. Bei einer Gesamtkostenbetrachtung (Total Cost of Ownership TCO) können die Elektrofahrzeuge zudem mit tieferen Unterhalts- und Betriebskosten punkten.
Bei der Prüfung der Ersetzbarkeit der Fahrzeuge ist der direkte Einbezug wichtiger betroffener Nutzer zentral. Bei der öffentlichen Verwaltung sind dies z.B. das Tiefbauamt und die Polizei. Dabei werden die spezifischen Fahrzeuganforderungen erhoben. Es können nur geeignete Elektrofahrzeuge ausgewählt werden, wenn auch die konkreten Fahrzeuganforderungen bekannt sind. Aspekte wie die Nutzlast, die Anhängelast, spezifische Aufbauten oder ein Allradantrieb sind wichtig. Hier gibt es bei der Elektrifizierung z.T. noch Einschränkungen, die berücksichtigt werden sollten. Dies spielt insbesondere bei Nutz- und Spezialfahrzeugen eine Rolle, sollte aber auch bei Personenwagen beachtet werden.
Der direkte Austausch mit den Nutzern hilft u.a. auch Ängste und Bedenken, z.B. wegen der Reichweite, abzubauen. Die SBB haben basierend auf eigenen Erfahrungen einen Massnahmenkatalog zusammengestellt, wie man auf Bedenken und Vorurteile eingehen kann. Bewährt haben sich vor allem auch Ansätze, bei denen es die Möglichkeit gibt, Fahrzeuge und Ladeinfrastruktur direkt zu testen. Insbesondere bei der Elektrifizierung von Spezialfahrzeugen kann es zudem hilfreich sein, von den bereits gemachten Erfahrungen vergleichbarer Organisationen zu lernen.
Nach der durchgeführten Prüfung der Ersetzbarkeit der Fahrzeuge kann ein Beschaffungsplan (je Standort) abgeleitet werden. Hierbei ist eine stufenweise, etappierte Elektrifizierung sinnvoll. Dieses Vorgehen kann im Beschaffungsplan gut visualisiert werden. So ist auf einen Blick erfassbar, in welchem Jahr welche Anzahl von Elektrofahrzeugen beschafft werden soll. Bei der öffentlichen Verwaltung ist der Beschaffungsplan zudem ein gutes Informationsmittel für die politischen Gremien.
Synergien nutzen: Diversifizierung und Verkleinerung der Flotte
Im Zuge der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte ist es auch sinnvoll zu analysieren, ob die Flotte allenfalls diversifiziert und verkleinert werden kann. Häufig haben einige Fahrzeuge in kommunalen und teilweise auch in gewerblichen Flotten geringe Tages- und Jahresfahrleistungen. Hier könnte ein Fahrzeugpooling interessant sein. Durch das Teilen von Fahrzeugen können diese besser auslastet und Kosten eingespart werden. Es dürfte sich auch lohnen, eine Substitution durch ein einsatztaugliches kleineres Fahrzeug (z.B. Kompaktklasse statt Mittelklasse) abzuwägen. Die Fachstelle für nachhaltige Mobilität in Unternehmen von EnergieSchweiz stellt auf ihrer Website eine Sammlung an Hilfsmitteln und Dokumenten zu diesen Themen zur Verfügung.
Ladeinfrastruktur, sichere Stromversorgung und Eigenverbrauchsoptimierung
Bei der Planung der Ladeinfrastruktur ist es wichtig sicherzustellen, dass für alle Ladebedürfnisse die richtige Ladeinfrastruktur am richtigen Ort zur Verfügung steht. So kann neben Ladepunkten mit 11 kW Ladeleistung für das Laden während der Nacht beispielsweise auch eine Schnellladestation für Einsatzfahrzeuge der Polizei oder für Fahrzeuge im Mehrschichtbetrieb notwendig sein.
Auch eine sichere Stromversorgung sollte bereits bei der Planung berücksichtigt werden. So muss für verschiedene Szenarien das Laden der Fahrzeuge auch dann funktionieren, wenn Ereignisse eine Ladung verunmöglichen oder behindern (z.B. Stromausfall, Strommangellage). Ein Konzept zur Notstromversorgung wird deshalb empfohlen.
Die Elektromobilität entfaltet vor allem in der Kombination mit erneuerbaren Energien ihr volles klimafreundliches Potenzial. Im Zuge der Elektrifizierung der Flotte ist es deshalb auch sinnvoll zu prüfen, ob die Erzeugung und die Eigennutzung von Strom aus einer Photovoltaik-Anlage am jeweiligen Standort möglich sind. Mit einem Lastmanagementsystem und gesteuertem Laden sind Erhöhungen des Photovoltaik-Eigenverbrauchs von ca. 25-30% möglich.
Fazit: Grossteil aller Fahrzeuge ist heute durch Elektrofahrzeuge ersetzbar
Dank der Modelloffensive der Fahrzeughersteller ist heute bereits der Grossteil aller Fahrzeuge der eigenen Flotte durch reine Elektrofahrzeuge ersetzbar. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass eine fundierte Analyse zu Beginn des Projekts und eine etappierte Umsetzung entscheidend sind. Das direkte Einbinden wichtiger Fahrzeugnutzer ist ebenso von Bedeutung, um spezifische Fahrzeuganforderungen zu berücksichtigen.
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